Komplexes Umfeld
Durch meine Weiterbildung bei Precision Nutrition im Bereich Ernährungscoaching konnte ich meinen Trainer-Horizont nicht nur erweitern.
Er wurde buchstäblich komplett neu geformt.
Während ich früher der Meinung war, dass Abnehmen doch nur eine Frage von CICO (Calories In, Calories Out) ist, erkenne ich heute die alles umfassende Komplexität der täglichen Ernährung und das in vielen Fällen damit zusammenhängende Übergewicht.
Meinem damaligen Glauben entsprang der Kern meiner früheren Coaching Philosophie, die folgendermassen ausgesehen hat:
- Kunde hat Problem mit Übergewicht
- Fokus auf die Energiebilanz als einziges (und wichtigstes!) Schlüsselelement
- Berechnung des Kalorienbedarfs und Aufschlüsselung der Makros
- Abzug der obligatorischen 300-500 Kalorien
- Ernährungsplan erstellen und darauf hoffen, dass der Kunde ihn «befolgt».
- Falls nicht befolgt, Stammpauke über Disziplin und Motivation halten.
In einem Satz zusammengefasst behandelte ich die Thematik der Ernährung wie die restlichen 99% in der Fitnessindustrie: Einseitig, ignorant, kurzsichtig und ehrlich gesagt auf die faule Art und Weise.
Obwohl dieses System teilweise funktioniert hat, war es grösstenteils eine Kampfansage gegen einen Gegner, der so nicht zu besiegen ist.
Dieser Widersacher ist nicht der sprichwörtliche innere Schweinehund – von dem ich nicht überzeugt bin, dass es ihn gibt – sondern das Geflecht unserer Gewohnheiten.
Obesity Map
Eine Veränderung der (Ess-) Gewohnheiten ist auf der einen Seite eine Frage von ernsthafter, intrinsischer Motivationsbereitschaft Handeln zu wollen.
Auf der anderen Seite ist das richtige Coaching gefragt, welches behutsam und vorsichtig die richtige Strategie aufsetzt.
Letzteres wurde bei uns wie bereits anfangs erwähnt, vollumfänglich revolutioniert.
In einer Lektion über die Komplexität des Abnehmens wurde uns die sogenannte «Obesity Map» vorgestellt
Die «Obesity Map» (übersetzt «Karte des Übergewichts) stellt Zusammenhänge, Faktoren, Aspekte, Gründe und Einflüsse auf unsere tägliche Ernährung auf einer riesigen Karte auf eindrückliche Art und Weise dar.
Spätestens dann wurde mir schlagartig bewusst, dass die einfache Methodik der alleinigen Betrachtung der Kalorien und deren Umsatz bei uns der Vergangenheit angehört.
Die Energiebilanz liegt zwar im Zentrum und definiert das Herz der Obesity Map.
Schlussendlich müssen wir als Coaches jedoch die über 100 weiteren Faktoren berücksichtigen, die die Energiebilanz und somit auch das Herz beeinflussen und steuern.
Dies zu ignorieren ist fahrlässig und zeugt von Desinteresse gegenüber der Ernährung als Schlüsselelement im Bereich der Körperkompositionsveränderung.
Faktoren & Sparten
Als ich das fast schon unheimliche Zusammenspiel auf dieser Karte näher studiert habe nahm ich mir vor, diese Faktoren einzeln aus dem Englischen zu übersetzen und sie mit unseren Erfahrungen zu ergänzen.
Herausgekommen ist die folgende Liste von 123 Faktoren, die unsere Ernährung und unser Übergewicht beeinflussen – und die alle miteinander verbunden sind.
Die Liste wird zum besseren Verständnis in die folgenden Sparten unterteilt:
Medien mit 7 Faktoren
Soziale Umgebung mit 14 Faktoren
Psychologie mit 12 Faktoren
Wirtschaft mit 21 Faktoren
Ernährungsverhalten mit 16 Faktoren
Bewegung & Training mit 16 Faktoren
Infrastruktur mit 8 Faktoren
Entwicklung mit 4 Faktoren
Biologie mit 18 Faktoren
Medizin mit 7 Faktoren
MEDIEN
- Verfügbarkeit medialer Berichterstattung
- Medien Konsum
- Verfügbarkeit passiver Unterhaltungsmöglichkeiten
- Bildung
- Einwirkung von Lebensmittelwerbung
- Fernsehen
- Social Media
PSYCHOLOGIE
- Selbstwertgefühl
- Soziale Interaktionen
- Individualismus
- Belesenheit/ Bildung über Ernährung
- Stress
- Empfinden unmittelbarer Gefahren
- Medikation
- Psychologische Ambivalenz
- Verlangen nach Genuss/ Kompensation
- Verlangen Druck abzubauen
- Bewusste Kontrolle der Akkumulation
- Genetische/ Epigenetische Voraussetzung
ERNÄHRUNGSVERHALTEN
- Kraft der Ernährungsgewohnheiten
- Tendenz zu Snacks zwischendurch
- Lebensmittel Exponierung
- Überfluss an Lebensmittel
- Vereinfachung der Lebensmittelzubereitung
- Anspruch auf Bequemlichkeit
- Bequemlichkeit von Fertig Food
- Lebensmittelvariation
- Alkohol Konsum
- Lebensmittel Geniessbarkeit
- Energie-Dichte der Mahlzeiten
- Portionierung
- Anzahl Mahlzeiten
- Geschwindkeit der Nahrungsaufnahme
- Nährstoff-Qualität von Essen und Getränken
- Ballaststoffgehalt
INFRASTRUKTUR
- Sicherheit unmotorisierterTransport
- Dominanz motorisierter Transport
- Begehbarkeit des unmittelbaren Umfelds
- Möglichkeiten für motorisierten Transport
- Umgebungstemperatur
- Einkaufsmöglichkeiten
- Lokales Angebot
- Technologische Errungenschaften
ENTWICKLUNG
- Angemeseene Körperkomposition auf Eltern-Ebene
- Angemessenes Verhalten bei der Schwangerschaft
- Angemessene Kindererziehung
- Qualität und Quantität mütterlichen Stillens
- Aufklärung/ Erziehung Schulsystem
MEDIZIN
- Wahrgenommene Widersprüche der Wissenschaft
- Anzahl an Infekten
- Krankheitsgeschichte
- Abhängigkeit von pharamzeutischen Heilmittel
- Abhängigkeit von chirurgischen Eingriffen
- Abhängigkeit Alternativ-Medizin
- Fehlendes Vertrauen in die Pharmaindustrie
SOZIALE UMGEBUNG
- Kulturelle Anpassung
- Soziale Akzeptanz von Übergewicht
- Ideales Körperbild und dessen Bedeutung
- Gruppenzwang
- Akzeptanz oder Abhlehnung von Übergewicht als Krankheit
- Empfindung von fehlender Zeit
- Soziale Ablehnung von Rauchen
- Rauchen Aufhören
- Elterliche Kontrolle
- Kontrolle der Ernährung des Kindes
- Gelernte Bewegungsmuster in der Kindheit
- Soziale Abwertung körperlicher Arbeit
- Positive/ negative Einwirkung von Familie & Freunden
- Arbeitsumgebung
WIRTSCHAFT
- Kosten von physischer Bewegung
- Dominanz von Office-Jobs
- Kaufkraft
- Nachfrage und Verfügbarkeit von Fertig-Food
- Nachfrage für geschmacksvolle Lebensmittel
- Differenzierung des Angebots
- Profit-Maximierung der Wirtschaft
- Minimierung der Kosten
- Kosten der Nährstoffe/ Zutaten
- Preis
- Anspruch auf Gesundheit
- Arbeitsbeschäftigung
- Arbeitslosigkeit
- Aufwand um Produktionsabläufe zu maximieren
- Job Performance
- Erhöhung Konsum Effizienz
- Sozialer Druck auf Konsumgesellschaft
- Geschlechterrollen beim Arbeitsplatz
- Druck auf Wachstum und Profitabilität
- Druck auf Gesundheitssystem
- Lebensmittel Lobby in der Politik
BEWEGUNG & TRAINING
- Möglichkeiten für Team-basierte Aktivitäten
- Elterliche Planung von Aktivitäten
- Soziokulturelle Wertschätzung von Aktivität
- Physischer Bildung
- Kinästhetischer Sinn
- Zugang zu Möglichkeiten für Training/ Bewegung
- Fitnesslevel
- Aktivitätslevel
- Bewegungslevel zuhause
- Abhängigkeit von Aufwand sparenden Services & Gadgets
- Nutzung von ÖV und Transport
- Funktionelle Fitness
- Training/ Bewegung
- NEAT
- Qualität der Aktivität
- Soziale, pädagogische und fachliche Trainerkompetenz
BIOLOGIE
- Biologisches Alter
- Geschlecht
- Nebenwirkungen von Drogenmissbrauch
- Genetische Veranlagung für Bewegung
- Grundumsatz
- Thermogenese
- Genetische/ Epigenetische Prädisposition für Übergewicht
- Anteil fettfreie Masse/ BMI
- Stoffwechsel
- Nährstoffgehalt pro Mahlzeit
- Appetitgefühl
- Primäre Kontrolle des Hungers
- Level an verfügbarer Energie
- Tendenz zum Energie sparen
- Aufwand um Energie aufzunehmen
- Bedeutung physischer Bedürfnisse
- Energiebalance
- Verdauung und Absorbtion von Nährstoffen